von Linke PoC am 24 Januar 2020 (Profil anschauen)
In einer dreiteiligen Serie will die Linke PoC Mechanismen darlegen, mit denen sich weisse Vorherrschaft und damit Rassismus innerhalb der weissen Linken reproduziert, anhand eines rassistischen Vorfalls in Zürich. Der erste Teil legt Argumentationslinien dar, mit denen Rassismus legitimiert wird.
Teil 1/3: Argumente zur Legitimierung von Rassismus
Der Auslöser war eigentlich trivial: An einer Demonstration soll jemand aus dem Umfeld der sich selbst als «revolutionär» bezeichnenden linken Szene in Zürich einen Hitlergruss gegenüber der Polizei gezeigt haben. Der Hitlergruss ist augenscheinlich als Kritik gegenüber dem repressiven Verhalten der Polizei ausgeübt worden, also ohne rassistische Intention. Dabei ist zu bemerken, dass die so genannte «revolutionäre Linke» zumindest in Zürich mehrheitlich weiss ist.*
Von People of Color wurde dieser Hitlergruss in der Folge als rassistisch und damit problematisch bezeichnet. Dieser Vorwurf wurde teilweise von den «revolutionären» Linken bestritten – mit
Argumenten, die wir hier aufgreifen möchten.
Dabei wollen wir den Hitlergruss als Beispiel nehmen, um daran Muster von Verteidigungsstrategien von weisser Vorherrschaft und Rassismus aufzuzeigen, da sich Rassismus-Vorfälle jeweils mit
gleichen Argumentationsmuster in Zürich (zum Beispiel bei diesem Partyflyer)
wiederholen.
Grundlage für die unterschiedliche Auffassung zu diesem Vorfall bildet meist ein falscher, nämlich moralischer, Rassismusbegriff: Dass Rassismus individuelles, absichtliches und moralisch
vorwerfbares Handeln darstellt. Im Gegensatz dazu steht ein wissenschaftlicher und struktureller Rassismusbegriff: Rassismus ist ein tief in der Gesellschaft, Kultur und Institutionen verankertes
Herrschaftssystem, welches die weisse Vorherrschaft ermöglicht und begünstigt und sich in allen Bereichen des Lebens reproduziert, also in uns allen wiederzufinden ist.
Die auf diesem falschen Rassismusbegriff vorgebrachten Argumente lassen sich häufig in zwei Kategorien unterteilen: die erste Kategorie zielt darauf ab, die Zuschreibung als «rassistisch» in Frage zu stellen. Die zweite Kategorie zielt darauf ab, dass sich ein Rassismusvorwurf aus Opportunitätsgründen nicht rechtfertigt.
Weisse Verteidigungslinie
Der Hitlergruss ist nicht bloss ein ausgestreckter Arm. Er steht für den praktizierten und geforderten Massenmord an allen PoC und rassifizierten Menschen, welcher in einem Kontext geschah, wo Rassismus normalisiert war. Auf die Vorgeschichte des Grusses hinzuweisen war vorliegend nicht die Absicht dieser Tat, sondern ging es darum, die Polizei zu denunzieren. Deshalb wollen wir das Intentions-Argument hier auch nicht behandeln. Wir möchten aber den Hitlergruss als Sprungbrett verwenden, Rassismuslegitimationsargumente zu diskutieren.
1. Normalitätsargument
Am häufigsten begegnen wir dem Argument, dass rassistische Witze, Sprüche und so weiter normal sind, also dem Status quo entsprechen und deshalb nicht rassistisch sind. Jede*r habe sie schon mal gemacht, also sind sie nicht weiter schlimm, so die Aussage. Dem halten wir entgegen, dass der Status quo, also die Normalität, grundlegend rassistisch ist. Menschen werden aufgrund fehlender Papiere ins Gefängnis und in Lager gesteckt und werden in allen Aspekten ihres Lebens – von der Jobsuche bis ins private Leben – damit konfrontiert. Und zumindest in den Kreisen, in welchen wir uns bewegen, sind Hitlergrüsse wirklich nicht normal. Dieses Narrativ der Normalität kann dazu dienen, den alltäglichen und nicht-alltäglichen Rassismus zu normalisieren und das Benennen von Rassismus zu pathologisieren.
2. This for that
Ebenfalls sind – vor allem PoC-Männer – mit dem Vorwurf konfrontiert, zu sagen: «Du hast dann und dann einen sexistischen Spruch gemacht und warst dann und dann sexistisch», um damit zu sagen, «es ist okay, dass du sexistisch bist, also ist es okay, dass ich rassistisch bin.» Deswegen war es also okay, dass jemand einen Hitlergruss gemacht hat. Die richtige Antwort darauf sollte sein: «Es ist nicht okay, wenn ich sexistisch bin und es ist nicht okay, wenn du rassistisch bist.» Beides gehört reflektiert und geändert.
«Rassismus ist nicht ein
individuell
vorwerfbares, moralisch falsches Verhalten,
sondern ein Macht- und Herrschaftssystem.»
3. Reverse Racism
Gleichermassen wird gesagt, dass PoC untereinander noch viel rassistischer – gerade gegenüber Weissen – sind und deshalb eine nicht-absichtlich rassistische Handlung wie ein Hitlergruss nicht weiter schlimm sei. Rassismus ist aber eben nicht ein individuell vorwerfbares, moralisch falsches Verhalten, sondern ein Macht- und Herrschaftssystem, welches Weissen Privilegien vergibt und PoC diese verweigert. Dieses System kann man entweder reproduzieren oder nicht. Demnach ist ein umgekehrter («reverse») Rassismus nicht möglich, schlichtweg, weil Rassismus Weisse, und nicht PoC, in die Position der Macht stellt. Wenn ein PoC also abfällige Bemerkungen über Weisse macht, dann kann das diskriminierend, verletzend, unangebracht usw. sein. Aber es ist nicht rassistisch. Konkret heisst das: Wenn ein PoC eine weisse Person zum Beispiel «Bünzlischwizer» nennt, steht dies nicht auf der gleichen Stufe wie und ist keine Rechtfertigung für einen Hitlergruss.
4. Moral
Die Person sei links, gegen Rassismus, eine sehr gute und nette Person. Damit sei der Hitlergruss auch nicht rassistisch. Ersteres wird auch in keinster Weise bestritten. Dennoch muss gesagt werden, dass dies ein Trugschluss ist. Denn man muss nicht ein böser Mensch sein, um rassistisch zu sein. Vielmehr werden wir alle in rassistischen Mustern erzogen und reproduzieren diese, wenn wir sie nicht reflektieren. Damit gehen wir davon aus, dass eine gute und nette Person, welche einen Hitlergruss ohne rassistische Intention macht, dies nicht wiederholen wird. Und anzumerken ist, dass Personen, die nach Kritik von Hitlergrüssen, absichtlich, als Provokation und als Bekräftigung einer «Entitlement to Racism» (Berechtigung, rassistisch zu sein) noch weitere Hitlergrüsse machen, wirklich keine gute und nette Personen sind.
5. Farbenblindheit
Der Hitlergruss wurde auch damit rechtfertigt, dass auch eine jüdische Person dabei gesehen wurde, wie sie den Hitlergruss mache. Dieses Argument geht in die selbe Richtung wie «Weisse dürfen das N_-Wort sagen, weil Schwarze das Wort für sich ja auch brauchen». Dieses farbenblinde («colorblind») Narrativ macht einen Fehlschluss: Wenn eine weisse Person sich einer rassistischen, geschichtlich aufgeladenen Wortes oder einer Gestik bedient, ist dies immer eine Aggression. Da von Rassismus Betroffene immer am empfangenden Ende von Rassismus stehen, können sie auch nicht gegen sich selbst rassistisch sein, sondern sich diese höchstens aneignen. Gesten und Worte finden immer in einem Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen statt und man kann nicht so tun, als würden diese nicht existieren.
Wir leben in einer grundlegend rassistischer Gesellschaft.
Rassistische Verhaltensmuster sind tief verankert.
6. Ironie
Es fiel noch das Argument, dass man mit einem ironischen und satirischen Verwenden des Hitlergrusses einer Person, die gegen Rassismus ist, ja genau dessen Absurdität aufzeigen würden. Es ist halt wirklich nicht so, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Rassismus überwunden ist, sondern wo rassistische Denk- und Verhaltensmuster noch tief in der Gesellschaft und bei uns allen verankert sind. Damit kann sich auch keine Person darauf berufen, für sich Rassismus überwunden zu haben, sondern muss immer darauf achten, rassistische Strukturen nicht zu reproduzieren. So weit sind wir noch nicht.
7. Hypersentitivity
Zum Schluss ebenfalls eines der häufigsten Argumente: Wir sind übersensibel, und würden mit unseren übertriebenen Forderungen nach politischer Korrektheit politisch Interessierte vertreiben. Demnach kommt als Antwort auf diesen Artikel mit Sicherheit der Vorwurf, dass dieses Beispiel eines trivialen und vagen Vorfalls vor mehr als zwei Jahren viel zu sehr aufgebläht ist. Dem ist zu entgegnen: Aufgebläht wird es nicht durch uns, sondern durch die Weigerung einigen weissen Linken, Rassismus anzuerkennen, wenn er passiert. Eben wie im Fall dieses Hitlergrusses. Und solange dies der Fall ist, sind unsere Reaktionen auf solche Vorfälle auch nicht übertrieben.
Mit diesen Argumenten wird alltäglicher und nicht-alltäglicher Rassismus legitimiert, wo wir ihn denunzieren sollten. Nicht, um einzelnen Personen zu schaden, sondern um das Bewusstsein («Awareness») anzueignen, um Rassismus effektiv bekämpfen zu können. Dies ist dann aber halt häufig nicht im Interesse jener, die von weisser Vorherrschaft implizit oder explizit profitieren.
Bei allen Argumenten ist aber ersichtlich, dass das Narrativ umgekehrt wird: es wird versucht, das Narrativ gegen jene Person zu kehren, welche Rassismus benennt. Damit ist es für diese Person ermüdend und frustrierend und sie gefährdet sich selber, wenn sie rassistisches Verhalten benennt. Es wird darauf gespielt, dass dann diese Person aufhört, Rassismus zu benennen, womit sich weisse Vorherrschaft und damit Rassismus ohne Widerstand legitimieren und reproduzieren kann.
Auf welche Weise Rassismus verteidigt wird («white fragility»), schreiben wir im nächsten Teil.
von Linke PoC am 24 Januar 2020
* (Exil-)Migrantische revolutionäre Organisationen haben wir nicht dieser Szene zugerechnet.
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