Debatte: Rassismus Verteidigen? Teil 2

von jemandem aus der Linken PoC am 10. März 2020

In einer dreiteiligen Serie will die Linke PoC Mechanismen darlegen, mit denen sich weisse Vorherrschaft und damit Rassismus innerhalb der weissen Linken reproduziert, anhand eines rassistischen Vorfalls in Zürich. Der erste Teil legt Argumentationslinien dar, mit denen Rassismus legitimiert wird.

Teil 2/3:  Retaliation

  

Im letzten Teil ging es darum, typische Argumente um Rassismus zu verteigiden zu widerlegen. In diesem Teil geht es darum, wiederum anhand eines konkreten Beispiels – einer Schlägerei – aufzuzeigen, dass «weisse Fragilität» nicht nur Weinerlichkeit und Uneinsichtigkeit ist, sondern ein handfestes und gewaltvolles Herrschaftsmittel weisser Vorherrschaft repräsentiert.

    

Das Konzept, dass es sich bei Antirassismus um eine subjektive Überempfindlichkeit gegenüber Rassismus handle, ist falsch. Bei radikalem Antirassismus geht es immer um einen Angriff auf weisse Machtstrukturen. Es geht um die Benennung und damit um eine Sichtbarmachung von Herrschaftsverhältnissen und damit um deren Bekämpfung.

   

Weisse Machtstrukturen müssen zu ihrem Erhalt sich immer wieder rassistischen Konzepten bedienen. Indem wir diese Konzepte sichtbar machen, helfen wir also, weisse Machtstrukturen zu zerlegen.

    

Zusammenfassend sehen wir Rassismus nicht als die moralisch böswillige, absichtliche Diskriminierung von schwarzen Menschen und People of Color, sondern als die in der Kultur, der Gesellschaft und den Institutionen verankerten Strukturen, welche weisse Menschen, ihr Denken und ihre Herrschaft durch verschiedene Mechanismen über People of Color positioniert..

1. Beispiel

Als Beispiel für weisse Fragilität nehmen wir ein wahres Ereignis aus Zürich: drei People of Color sind unterwegs und hören laut – wahrscheinlich zu laut –  Musik aus einer Musikbox. Darauf aufmerksam gemacht, stellen sie die Musikbox auf die andere Seite des Platzes. Eine Gruppe weissen Männer nimmt die Box plötzlich und schmeisst sie mehrfach auf den Boden. Als ein PoC versucht, die Box zurückzuholen, wird er gewürgt. Es entwickelt sich eine Schlägerei.

2. Benennung

Aus der Sprayer- und Fussballszene die sich im Übrigen mit der sich als revolutionär verstehenden linken Szene überschneidet haben mehrfach rassistische Provokationen, wie «Sieg Heil»-Begrüssungen, einen Hitlergruss und die Benutzung des N-Worts und die Festhalten deren Benutzung stattgefunden. Dies sind rassistische Provokationen, welche von vielen in der linken Szene explizit toleriert und als nicht-rassistisch verteidigt wurden (siehe Teil 1).

  

Die drei PoC entschliessen sich, den Vorfall aus ihrer Perspektive auf Facebook zu veröffentlichen. Dabei beschreiben darin die weissen Täter als «weisse Täter»  und die weissen Zuschauer ebenso als weisse.

3. Fragilität

In den nächsten Tagen entwickelt sich aus der sich als revolutionär verstehenden linken Szene einen spezifischen Dialog. Sie hören, dass drei schwarze Menschen einen Unschuldigen verprügelt haben (von den drei People of Color war nur jemand schwarz). Oder sie sagen, dass die Gewalt der Weissen berechtigt gewesen sei (man habe ja zu laut Musik gehört), die Gegengewalt der PoC jedoch nicht. Die Darstellung der PoC wird sofort aus dem Internet entfernt. Denn eine der Angreifer habe für den 1. Mai gekocht – und könne deshalb auch kein Rassist sein.

 

Als Anmerkung: Es geht hier nicht um die Schlägerei an sich. Ebenfalls sollte hier in keiner Weise die PoC als moralisch überlegen, «gut», oder generell unproblematisch dargestellt werden. Sondern geht es hier nach einem konkreten Vorfall darum, wie PoC-Perspektiven marginalisiert werden und welche Mittel verwendet werden, um einzig weisse Perspektiven durchzusetzen. 

4. Retaliation

In der Folge der Facebook-Veröffentlichung kommt es auf verschiedenen Ebenen zur Retaliation. «Retaliation» ist ein aus dem englisch stammenden Begriff, um die «Rache» der Täter anzusprechen: die Androhung negativer Konsequenzen, wenn man Übergriffe anspricht. Retaliation ist eine Taktik, um das offene Ansprechen von Übergriffen zu verhindern, indem die sprechende Personen mit starken negativen Konsequenzen zu rechnen haben. Das wesentliche an Retaliation ist, dass die Übergriffe nicht untersucht werden, daher auch fortgefahren werden können. Retaliation kann schwache oder starke Formen annehmen.

 

Zu Retaliation zählt, dass einem PoC die Wohnung gekündigt wird. In diesem Fall wurde als Hauptgrund genannt, dass man die Veröffentlichung auf Facebook belassen habe, obwohl zuvor gesagt wurde, dass sie vom Netz gelöscht werde. Als weiterer Grund wurde genannt, dass man die weissen Menschen als «Weisse» bezeichnet habe – dies sei eine Beleidigung. Hier reproduziert sich die übliche Wortlosigkeit und narrative Unterlegenheit von PoC.

  

Damit wurden die PoC, die öffentlich einen Angriff ansprachen, bestraft, während die Angreifer keine Konsequenzen zu vergegenwärtigen hatten. Retaliation war – in Form von Pathologisierung – jeweils auch die Antwort, nachdem verbaler Rassismus angesprochen wurde, wie bei dem im letzten Teil behandelten Hitlergruss. 

 

Die Erwartung, People of Color seien still,
subaltern und marginalisiert, wurde nicht erfüllt.

 

Was lernen wir aus diesem Beispiel?

In dem grundlegend rassistischem Unbewussten welches heute herrscht, wird «Weiss-sein» – unangesprochen – mit Normalität, Objektivität, Vernunft, und Gewaltlosigkeit verbunden, während «Schwarz-sein», oder hier korrekt «BPoC-sein», mit Subjektivität, Emotionalität und Gewalttätigkeit verbunden wird. Diese Vorurteile werden erst dann sicher, wenn das «Weiss-sein» der Täter benennt wird, welches rassistische Diskurse und weisse Vorherrschaft die Reproduktion obengenannten Diskurse hindert.

 

Demgemäss wurde von niemandem der weissen Zuschauer der Angriff der weissen Männer – darunter das Würgen einer Person of Color – kritisiert. Die Grenzen des Tolerierbaren aus weisser Sicht wurden überschritten, nicht aber mit der Schlägerei selbst, sondern mit der Veröffentlichung der Ereignisse aus Perspektive der People of Color. Die Erwartung, People of Color seien still, subaltern und marginalisiert, wurde nicht erfüllt. Während Schwarz-sein immer sichtbar ist, versucht sich Weiss-sein unsichtbar zu machen, indem sie als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. 

 

Aber angesprochenes weiss-Sein bringt die Konnotationen Rassismus, Kolonialismus und Vorurteile ins Vorfeld. Indem People of Color laut, emanzipiert und selbstbestimmt waren, verhielten sie sich nicht nur so, wie man es von ihnen nicht erwartete, sondern sie stellten damit auch weisse Selbstverständlichkeiten und weisse Machtstrukturen in Frage. Die aufgewiesene weisse Fragilität war nicht harmlose Weinerlichkeit und Zerbrechlichkeit, sondern handfeste Repression, um weisse Vorherrschaft abzusichern und Rassismus zu ermöglichen und zu legitimieren. Wo Weiss-sein als Weiss-sein benannt wird, ist er angreifbar.

von  jemandem aus der Linken PoC am 10. März 2020


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